08.12.2022

Warum konterkarieren viele Führungskräfte kurz vor dem Ruhestand ihr gesamtes Schaffen?

Die Winter in Spanien verbringen. Mehr Zeit für die Enkelkinder. Aufgeschobene Projekte in Haus und Garten endlich anpacken. Nur noch ein paar Jahre durchhalten – und in diesen soll bitte alles so bleiben wie es ist. Viele Führungskräfte, die noch wenige Jahre bis zur Rente haben, wollen nur eines: durchhalten. Der Wunsch, etwas zu bewegen, zu verändern, sich auf Neues einzulassen ist einem „ich habe keine Lust mehr“ gewichen. Doch mit diesem Verhalten konterkarieren Führungskräfte ihr gesamtes Schaffen und das, was von ihnen nach dem Ruhestand bleibt.

Warum konterkarieren viele Führungskräfte kurz vor dem Ruhestand ihr gesamtes Schaffen?
Shutterstock.com | Mladen Mitrinovic

Seit Beginn meiner Tätigkeit als Coach erlebe ich, dass Führungskräfte, die auf die Rente zugehen, nicht bereit für Veränderungen, neue Themen oder Strukturen sind – selbst, wenn diese sinnvoll sind. Damit ruinieren sie meines Erachtens nicht nur ihre aktuelle Reputation, sondern auch alles, was sie bis dahin auf den Weg gebracht haben. Der bittere Nachgeschmack, der im Unternehmen und beim Team zurückbleibt, ist: Die Führungskraft war bei notwendigen Entwicklungen ein Hindernis und hat unser Vorankommen blockiert. Wer möchte ein solches Bild hinterlassen? Sätze, an denen immer ein aber hängt? Er hatte immer sehr innovative Gedanken, aber kurz vor dem Ruhestand hat er gar nichts mehr gemacht. Wir haben sie immer als engagiertet gesehen, aber als die letzten Jahre im Unternehmen anbrachen, schaltete sie auf Sparflamme. Und wir alle wissen, dass die Aussage, die vor dem Aber kommt, meist keine Bedeutung mehr hat. Wollen Sie als Führungskraft nicht für Ihre Erfolge, Ihre großartigen Ideen, Ihren Beitrag zur Weiterentwicklung des Unternehmens, als Mentor Ihres Teams und anderes in Erinnerung bleiben?

Die Kastanie sehe ich noch dreimal blühen

Die „Null-Bock“-Haltung, die alternde Führungskräfte an den Tag legen, hat nicht nur für sie selbst negative Konsequenzen, sondern wirkt sich auch auf das Team aus, das bestenfalls jahrelang hinter ihnen stand. In aller Deutlichkeit erlebte ich das bei meinem ersten Auftrag als Team-Supervisorin. Dieser führte mich in ein Team aus der Psychiatrischen Forensik – in diesem Bereich sind nicht nur die Patienten meist langfristig untergebracht, sondern auch das Personal bleibt in der Regel ein Berufsleben lang. Die Behandlungen führen nur manchmal und in der Regel langsam zum Erfolg. Schnelligkeit ist hier nicht das Gebot, denn alles braucht seine Zeit. Ich wollte natürlich unbedingt erfolgreich sein und gab mir enorm viel Mühe, was schließlich dazu führte, dass ich das Team motivieren konnte, was mich begeisterte und meinen Mentor erstaunte. Er hätte nicht gedacht, dass ich so schnell Bewegung in die Menschen bringe. Die bisherigen Fortschritte machten sich positiv bemerkbar und es ging richtig gut voran – bis der Teamleiter auf mich zukam. Mit einem Satz zerstörte er alles, was wir bis dahin aufgebaut hatten: „Frau Schnee, schauen Sie mal aus dem Fenster. Dort steht eine Kastanie. Ich werde sie noch dreimal blühen sehen und dann gehe ich in Rente. Vorher ändert sich hier nichts.“ Das schlug wie eine Bombe ein. Das gesamte Team sackte in sich zusammen und war innerhalb weniger Minuten nach dieser Aussage am gleichen Motivationstiefstand wie zu Beginn der Zusammenarbeit. Damals dachte ich noch, dass es sicher eine Ausnahme war. Wie weit ich mit diesem Gedanken von der Realität entfernt war, zeigte sich über die Jahre meiner Arbeit.

Wenn Führungskräfte zu Blockaden werden

An dieser Stelle möchte ich sehr deutlich sagen, was ich in solchen Situationen erlebe. Die ältere Führungskraft erhält aus dem Umfeld diverse Zuschreibungen. Manche sind treffend, manche nicht. Oft wirken sie auf Dauer wie tausend Nadelstiche, denn es hört erst auf, wenn die Führungskraft nicht mehr da ist. Am Ende sind es dann nicht Erfolge, die bleiben, sondern die Einstellung, mit der sich die Führungskraft in den Ruhestand verabschiedet. Schnell wird vergessen, was alles erreicht wurde, wenn kurz vor dem Abschied nur ein große „ihr oder ihm war alles egal“ zurückbleibt. Selbstverständlich sei es den älteren Mitarbeitenden und Führungskräften gegönnt kürzer zu treten, was viele Unternehmen auch mit verschiedenen Modellen wie der Altersteilzeit unterstützen. Doch hier braucht es eine klare Kommunikation, Transparenz und Absprachen. Und zwar so, dass die anderen Mitarbeitenden nicht darunter zu leiden haben. Hat die Führungskraft allerdings nur die Kastanie im Blick und will, dass alles genauso bleibt, wird sie zur Blockade und meist kurz vor Rentenantritt noch zum Mittelpunkt eines Konfliktes. Ist es so weit gekommen, dann fehlt die Zeit für einen Neuanfang – der Konflikt bleibt an der Führungskraft haften und wird in den nächsten Lebensabschnitt genommen. Das wirkt sich sowohl auf das Ansehen im Unternehmen als auch im Privatleben aus. Im schlimmsten Fall leiden die Teams und zuhause die Familie.

Führungskraft sollte Führungskraft bleiben

Wenn Führungskräfte kurz vor der Rente – warum auch immer – kein Interesse mehr daran haben, sich weiterhin zu engagieren, dann sollten sie zumindest das bleiben, was sie sind: Eine Führungskraft, die Wissen und Erfahrung teilt. Auch wenn sie nichts mehr Neues auf den Weg bringen möchte, dann sollte sie auch nicht als blockierender Felsbrocken auf diesem stehen. Ältere Führungskräfte haben mit ihrem Erfahrungsschatz die großartige Möglichkeit, Mitarbeitende in dem zu fördern, was wichtig und sinnvoll für die nachkommende Generation im Unternehmen ist und können ihre Mannschaft mit aller Erfahrung leiten. Und ist das nicht mehr wert und viel erfüllender, als die Blätter am Kastanienbaum oder die noch verbleibenden Tage zu zählen, bis es „vorbei“ ist?

Haben Sie in Ihrem Unternehmen Führungskräfte, die kurz vor dem Ruhestand sind oder sind Sie selbst diese Führungskraft? Dann interessiert mich, wie Sie die Jahre bis zur Rente erleben und gestalten. Tauschen Sie sich hier oder via LinkedIn mit mir aus.

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