24.11.2020

Respekt? Ein zunehmend verloren gehender Wert

Respekt – ein Wort, welches wir fast täglich gebrauchen und doch nicht immer so meinen. Deshalb lassen Sie uns vorab einen kurzen Blick auf die Herkunft und Bedeutung werfen. Respicere aus dem Lateinischen heißt Rücksicht nehmen, sich nach etwas umsehen, zurücksehen. Das darin enthaltene Specere steht für sehen. Bedeutet Respekt also: Ich sehe Dich und ich nehme Rücksicht auf Dich, ich sehe Dich so, wie du bist? Ja, genau das! Den Menschen an sich zu sehen und nicht seine Statussymbole oder das, was er nicht hat, ist Grundvoraussetzung für ein respektvolles Miteinander. Es gibt immer wieder Anlässe, die mich dazu bewegen, etwas über diese Verhaltensweise zu schreiben.

Respekt? Ein zunehmend verloren gehender Wert

Viele Menschen erzählen mir im Coaching, dass sie erleben, dass andere oder sie selbst keinen Respekt erfahren. Es wird über das zu kleine Auto, die falsche Uhr, zu wenige Likes, mieses Assessment Center, über ihr Aussehen gelästert – wir alle kennen es. Und im schlimmsten Fall werden körperliche Einschränkungen oder Behinderungen zum Gespött gemacht. Auch scheinbar kognitive Begrenzungen werden gerne laut kommentiert und belächelt. Die Betroffenen verstehen dies sehr wohl und spüren den mangelnden Respekt. Am Ende machen sich die Spötter dadurch selbst zum Depp, weil sie an der Stelle zu kurz gedacht haben. Die Frage hier lautet: Wer ist der Eingeschränkte, der mit Einschränkungen nicht umgehen kann?

Die relevante Frage ist: Was ist der Zweck, wenn Menschen der ihnen zustehende Respekt verweigert wird? Wer hat etwas davon? Es bleibt vielleicht ein kleiner, schäbiger Moment der Schadenfreude oder das kurzzeitige Gefühl „interessanter oder relevanter“ zu sein als jemand anderes, aber der Preis für diese Nichtigkeiten ist enorm hoch. Fehlender Respekt schadet dem Menschen, dem er nicht gezollt wird, schadet dem Miteinander, schadet der Gesellschaft und damit uns allen. Also auch der Person, die mit Respektlosigkeit anderen gegenüber durch die Welt zieht.

Wer andere klein macht, wird nicht größer

Im Rahmen der Aktivitäten rund um die Covid-19-Pandemie gibt es ebenfalls viele Respektlosigkeiten zu beobachten, doch ich möchte ganz konkret auf das eingehen, was meine Kundinnen und Kunden mir erzählen. Es erschüttert mich zutiefst. Ich schäme mich für die Menschen, die anderen mit mangelndem Respekt begegnen. Wenn wir Menschen, die beeinträchtigt sind, die auf den ersten Blick anders erscheinen, Respekt entgegenbringen, dann ist das weder ansteckend noch schädlich für das eigene Ansehen.
Wenn wir Menschen, die nicht so viel haben oder so sind wie wir, die Anerkennung absprechen, dann werden wir nicht relevanter oder reicher. Das Erniedrigen anderer macht uns nicht größer – im Gegenteil. Um es in den Worten des deutschen Schriftstellers und Dichters Johann Gottfried Seume zu sagen: „Wer die anderen neben sich klein macht, ist nie groß.“

Respekt macht unsere Gesellschaft wertvoll

Mein eindringlicher Appell lautet: Jeder Mensch hat Respekt verdient. Durch Auftreten, Status und Aussehen erhalten manche Menschen ohne jedes Zutun automatisch jeglichen Respekt. Diejenigen mit Einschränkungen und solche, die scheinbar nicht in das gesellschaftlich gängige Bild unserer modernen Welt passen, müssen sich entweder den Respekt anderer hart erkämpfen oder erhalten ihn erst gar nicht. Doch auch sie haben es verdient, gesehen zu werden, mit all ihren Talenten und in ihrer Einzigartigkeit. Wenn wir allen Menschen den Respekt entgegenbringen, den wir ebenfalls erwarten, wird unsere gesamte Gesellschaft wertvoller und lebenswerter.

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