05.12.2024

Misstrauen so weit das Auge reicht – warum vertrauen wir nicht „einfach“? 

Vor Jahren beging eine Mitarbeiterin einen Fehler – längst ist dieser korrigiert. Ein menschliches Missgeschick, wie es jedem von uns hätte passieren könnte. Die Reaktionen im Unternehmen? „Du musst dir mein Vertrauen jetzt erst wieder erarbeiten“, kam es von der Führungskraft. „Ich mache das lieber selbst, denn wer weiß, ob ich dir in der Sache vertrauen kann“, sagten die Kollegen.

Misstrauen so weit das Auge reicht – warum vertrauen wir nicht „einfach“? 
Bild: freepik.com

Die Mitarbeiterin fühlte sich daraufhin zunächst angetrieben, das Vertrauen wiederherzustellen. Doch versuchen Sie einmal jemanden dazu zu bringen, Ihnen zu vertrauen, wenn derjenige das nicht will. Da können Sie im Handstand eine Banane schälen, es nützt nix. Entweder schenkt man jemandem sein Vertrauen freiwillig oder eben nicht. Nachdem die Mitarbeiterin festgestellt hatte, dass egal, was sie tat, sie nur Misstrauen erntete, änderte sie ihr Verhalten. Sie zog sich innerlich zurück, leistete Dienst nach Vorschrift, war unzufrieden und demotiviert. Zudem entwickelte auch sie die Haltung, dass sie niemandem mehr vertrauen könne. Ein enormer Verlust in der Wertschöpfung des Unternehmens.

Wir alle kennen wahrscheinlich solche oder ähnliche Situationen. Gekoppelt mit Sprüchen, wie „Vertrauen muss man sich verdienen“, „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ oder „Vertrauen ist schwer zu gewinnen und leicht zu verlieren.“

Als Mediatorin sowie Team- und Führungskräfte-Coach habe ich zu den unterschiedlichsten Branchen und Persönlichkeiten Kontakt und erlebe, dass Vertrauen in Unternehmen ein ständig wiederkehrendes Thema ist. Ich persönlich frage mich oft, wieso es vielen Menschen so schwerfällt, zu vertrauen, obwohl sich Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen eine vertrauensvolle Kultur wünschen.

 

Warum gibt es so viel Misstrauen?

Noch nie gab es in unserer Gesellschaft so viel Misstrauen wie heute. War der Bankberater früher eine Person, der wir gerne unser Geld anvertrauten, muss er heute damit rechnen, dass wir bei jedem Cent kritisch nachfragen. Auch der Politik, Bildungseinrichtungen, Medien und Co. wird immer weniger Vertrauen entgegengebracht. Gleiches gilt für Unternehmen – sei es in der Führung oder unter Peers.

Ein Grund dafür ist, dass Menschen, deren Vertrauen einmal missbraucht wurde, dies als besonders schmerzhaft wahrnehmen. Sie erinnern sich viel häufiger an enttäuschtes Vertrauen als an die vielen Situationen, in denen zu Recht vertraut wurde. Mit Kontrollen wird versucht, diese negativen Erfahrungen zukünftig zu vermeiden.

 

Die sozialen und ökonomischen Nachteile von Misstrauen

Dieses Misstrauen hat aber soziale und ökonomische Nachteile, die sich auch auf die Arbeit auswirken. Das zeigen Langzeitstudien: Menschen, die in ihrer Kindheit anderen Menschen grundsätzlich erst einmal vertrauen, sind Jahrzehnte später erfolgreicher, glücklicher und verfügen über ein höheres Einkommen – und dies gilt auch, wenn alle anderen Einflussfaktoren kontrolliert werden.

In vielen Unternehmen entsteht Misstrauen allerdings nicht aus konkreten Handlungen oder Ereignissen, sondern aus persönlichen Befindlichkeiten und inneren Unsicherheiten. Gerade in der vergangenen Woche erlebte ich eine Situation, in der ein Mitarbeitender wichtige Informationen zurückhielt, weil die Atmosphäre des Vertrauens fehlte. Aus vermeintlichem Selbstschutz ließ er lieber eine Kollegin im Stich. Eine solche Erfahrung wird abgespeichert und bei jeder weiteren Kommunikation unter diesen Kollegen wird das Verhalten durch die Linse dieses Erlebnisses betrachtet. Es mag sich sogar ausweiten und plötzlich wird hinter jedem Busch ein Jäger vermutet, der auf einen schießt.

Es entsteht die Haltung „Ich kann nicht vertrauen“. Laut einer Studie von Kramer1 neigen Menschen dazu, vergangene negative Erfahrungen zu generalisieren und auf neue Situationen zu übertragen. Dies führt zu einer Kultur des Misstrauens, die schwer zu durchbrechen ist.

Hat sich im Unternehmen erst einmal eine solche Kultur eingenistet, ist dies anstrengend, kräfteraubend und bremst alle Beteiligten mehr, als dass es sie schützt oder weiterbringt. Die meisten Menschen gehen dann schon automatisch davon aus, dass ihr Vertrauen irgendwann missbraucht wird. Und manche beginnen bereits bei Kleinigkeiten einen solchen Vertrauensmissbrauch zu suchen, um daraus ein großes Drama zu machen. Dabei hat es gar nichts mit der Person an sich zu tun, sondern ist nur eine logische Konsequenz einer aktuellen Situation. Zum Beispiel vertraut ein Mitarbeitender darauf, dass die Führungskraft seine Pläne nicht durcheinanderbringt, doch der Anruf eines wichtigen Kunden hat jetzt Priorität und der Mitarbeitende soll sich darum kümmern – und zack, wird von einem Vertrauensbruch gesprochen.

In der Regel findet in solchen Fällen größtenteils keine Kommunikation statt oder zu viel in andere Richtungen. Vielleicht wurde die Sache vorangebracht, jedoch der eigene Anteil nicht berücksichtigt. Oder eine Zusage wurde nicht eingehalten. Diese Situationen sind vielfältig und komplex, aber sie alle führen zu dem Gefühl, dass unser Vertrauen missbraucht wurde.

 

Was bedeutet eine „nicht vertrauensvolle Atmosphäre“?

Was heißt es also konkret für ein Unternehmen oder Team, wenn eine „nicht vertrauensvolle Atmosphäre“ besteht? Eine solche Atmosphäre bedeutet oft eingeschränkte Kommunikation: Mitarbeitende trauen sich nicht, offen über Probleme oder Ideen zu sprechen. Es herrscht Sorge davor, Konflikte anzusprechen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Mitarbeitende wagen es nicht, sich im Team oder gegenüber Vorgesetzten klar zu positionieren. Häufen sich diese Vorfälle, nimmt das Vertrauen immer weiter ab und bald arbeiten alle mit der Haltung, dass man niemandem vertrauen kann.

Doch was wäre wirklich das Worst Case, wenn wir jemandem vertrauen und feststellen, dass uns der Umgang mit uns nicht gefällt oder getroffene Absprachen nicht eingehalten werden? Was machen wir in diesem Fall? Grundsätzlich gibt es zwei Optionen: Entweder wir beginnen damit, das Misstrauen noch weiter zu schüren oder wir kommunizieren offen und stärken unsere Haltung, dass Vertrauen unerlässlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist. 

 

Der positive Effekt von Vertrauen

Eine aktuelle Studie von Mayer et al.legt offen, dass Vertrauen in Teams signifikant zur Leistungssteigerung beiträgt. Die Forscher fanden heraus, dass Teams mit hohem gegenseitigem Vertrauen effizienter arbeiten und innovativer sind. Dies liegt daran, dass Mitglieder solcher Teams eher bereit sind, Informationen zu teilen und Risiken einzugehen. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Paul J. Zak3, der in seiner Studie verdeutlicht, dass Mitarbeitende in vertrauensvollen Umgebungen 50 % produktiver sind und 76 % mehr Engagement zeigen.

Vertrauen ist ein komplexes Thema, das sowohl auf persönlicher als auch auf organisatorischer Ebene gepflegt werden muss. Es erfordert Mut und Offenheit sowie die Bereitschaft zur Reflexion über eigene Handlungen und deren Auswirkungen auf andere. In einem Unternehmen bedeutet Vertrauen, dass Mitarbeitende sich aufeinander verlassen können, dass sie offen kommunizieren und gemeinsam an einem Strang ziehen.

 

1. Kramer R.M., "Trust and Distrust in Organizations: Emerging Perspectives", Annual Review of Psychology.

2.Mayer R.C., Davis J.H., & Schoorman F.D., "An Integrative Model of Organizational Trust: Past Present Future", Journal of Management.

3. Zak P.J., "The Neuroscience of Trust", Harvard Business Review.

 

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