12.02.2018

"Die sollen hier arbeiten und ihre emotionalen Themen zu Hause lassen! Das nervt!"

Diesen Satz höre ich seit Jahren immer mal wieder und in letzter Zeit deutlich öfter. Ich habe mich gefragt, woran das liegt. Ist es wirklich so, dass die Menschen ihre privaten Dinge mehr und mehr ins Büro tragen?

"Die sollen hier arbeiten und ihre emotionalen Themen zu Hause lassen! Das nervt!"

Bei der Betrachtung, wer solche Sätze sagt, fällt eines auf: Es sind durchgehend Führungskräfte, die im Rahmen von Veränderungsprozessen viel zu viel zu tun haben, in der Regel mehr als eine Stelle innehaben, nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht und gerne sachlich ohne jede Störung ihre Themen abarbeiten möchten. Wären da nur nicht diese gefühlsduseligen, zickigen, renitenten und Konflikte produzierenden Mitarbeiter*innen! Furchtbar, diese ....

Feuer im Öl der Mitarbeiter-Emotionen

Bei der weiteren Betrachtung fällt auf, dass ausgerechnet diese Führungskräfte vielleicht nicht ihre emotionalen privaten Themen mit ins Büro bringen - oder "sie nicht auf der Zunge tragen", jedoch höchst erregt über die jeweilige Situation sind. Wenn ich diejenigen auf genau diese Beobachtung hinweise, ernte ich erst einen erstaunten und dann einen nicht amüsierten Blick. Selbstverständlich geht die Erläuterung, wieso, weshalb, warum einher mit der klaren Aussage, dass sie sehr wohl emotional sind und vielleicht ihre eigene Erregung Feuer im Öl der Mitarbeiter-Emotionen ist.

Wichtig an dieser Stelle ist zu klären, woher die Erregung kommt, was sie mit der Situation zu tun und im Kontakt mit der Mitarbeiter*innenebene bewirkt hat und natürlich wie die Führungskraft die vielbeschworene nützliche Sachebene für sich und alle anderen zurück erobert.

Der interessante Blick auf die Situation

Nebenbei kommt regelmäßig die Konfliktdefinition von Marshall Rosenberg zum Tragen: "Konflikte sind das bedauerliche Ergebnis unbefriedigter Bedürfnisse." Und zwar aller Beteiligten in einer solchen Situation. Die Bedürfnisse sind in Teilen sehr unterschiedlich. Genau hingeschaut, geht es selten um den privaten Klüngel. Interessant wird es, wenn sich Führungskräfte die Zeit nehmen, mit mir den systemischen Blick auf die Situation zu werfen, d. h. auch ihr eigenes Wirken und die Auswirkungen dessen wahrzunehmen.

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Die Situation, die ich in meinem Beispiel vor Augen habe, sah wie folgt aus: Eine Führungskraft kommt innerhalb der Firmengruppe auf eigenen Wunsch auf ihre neue Position. Zuvor hatte sie in ihrem Bereich ca. 600 Mitarbeiter und ihre Führungsriege so gut organisiert, dass Mitarbeiterführung und -themen von ihr übernommen wurde. Sie selbst konnte sich den übergeordneten Unternehmenszielen widmen und verfolgte sie ausgesprochen erfolgreich. In der neuen Position sollte es zum Thema Mitarbeiterführung und Verfolgen der Unternehmensziele ähnlich sein. Es galt, einen Bereich wieder erfolgreich zu machen - was bekannt war.

Dann gab es ein paar Dinge, die nicht bekannt waren, z. B. dass die Führungsriege nur in Teilen besetzt war, dass die vorherige Führungskraft kurz vor dem Wechsel erheblich dazu beigetragen hat, Personal zu versetzen oder zu entlassen, schlicht zu dezimieren, und dass darüber der Bereich im Grunde komplett neu aufgebaut werden musste.

Was machte diese Führungskraft, die bei mir im Coaching war? Sie begann die Situation zu analysieren, zu planen, zu organisieren und klare Vorgaben zu machen. Sie stand für die Abteilung und die Mitarbeiter, egal welcher Ebene, zur Verfügung. Was aber passierte? Die Mitarbeiter konnten das gut gemeinte Angebot, Klarheit, Transparenz, Zuverlässigkeit etc. in Arbeitsprozesse zu bringen, nicht sehen. Sie hatten unter der vorherigen Führungskraft zu viel Personal-Missmanagement erlebt und verharrten in einem Zustand des Misstrauens. Die verbliebene Führungsriege übte sich in Zurückhaltung.

Die Folge: Alles wurde auf die Goldwaage gelegt und abgewogen - in alle Richtungen. Nein, nicht in alle Richtungen, eine Richtung wurde ausgelassen. Es war die Richtung: Ich will die Karre aus dem Dreck ziehen. Und die Spirale der Missverständnisse und der Verhärtung der Seiten nahm zu. Einfach alles - selbst Rahmenbedingungen, die aufgrund von rechtlichen Änderungen verändert werden mussten - wurden auf der Befindlichkeitsebene ausagiert. Und irgendwann kam der Satz: "Die sollen hier arbeiten und ihre emotionalen Themen zu Hause lassen! Das nervt!"

In dem Zusammenhang einerseits zu Recht. Andererseits halte ich es mit Herrn Rosenberg und zäume meine neue Position nicht nur von der Sach- und Organisationsebene auf und laufe in die Bedürfnisfalle, sondern schaue zusätzlich genau hin, was meine Mitarbeiter benötigen, damit sie ihre Energie in meine Ziele stecken. Unter Umständen stelle ich fest, dass es zwar private Themen gibt, jedoch eher in Pausen zum Socialising und nicht zur Arbeitsverhinderung.

Kennen Sie das? Sie möchten eigentlich nur in Ruhe arbeiten und die Unternehmensziele erfolgreich umsetzen, kommen aber nicht dazu, weil Personalthemen immer wieder dazwischen grätschen? Mein Tipp: Machen Sie dann einfach mal eine Pause und überlegen, ob eine Strategieänderung im Stressverhalten zielführender sein könnte.

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