04.07.2018

Die Krux mit dem Harmoniebedürfnis

„Das ist wichtig für mich.“ „Ich kann nicht anders. Ich habe ein so großes Harmoniebedürfnis.“ Dieses sind Aussagen, die ich sehr oft höre. Wenn ich als Konfliktmoderatorin gerufen werde, ist es mit der Harmonie in der Regel vorbei. Hier ein klassisches Konfliktbeispiel aus einem Team ...

Die Krux mit dem Harmoniebedürfnis

Ein Teamleiter, eine Stellvertretung, eine Assistenz und acht weitere Personen bilden dieses Team. Alle verstehen sich gut. Anlässlich der Geburtstage gibt das Geburtstagskind ein Frühstück, einen Kuchen oder Ähnliches aus. Man unterstützt sich gegenseitig, zieht an einem Strang und lässt auch mal fünfe gerade sein. Besonders die Assistenz fällt auf, da sie entspannt mit allen Vorkommnissen umgeht. Wo könnte es hier Konfliktpotenzial geben?

Alles in Butter ... oder?
Die Assistenz ist immer gut gelaunt – unabhängig davon, ob der Chef ihr mehr Arbeit aufhalst oder sie mal wieder für alle die Spülmaschine ein- und ausräumt, die den Weg dorthin nicht gefunden haben. Sie sagt auch gerne: „Lass‘ mal, ich mache das schon.“ Dabei wäre ihr häufig mal eher danach zumute, zu fragen, warum beispielsweise Aufträge für sie erst 15 Minuten vor ihrem Feierabend kommen. Oder warum sie den Teammitgliedern wie pubertierenden Kindern alles hinterherräumen oder auch für sie mitdenken muss. Nein ... sie macht auf gute Laune, denn sie ist »so froh«, dass sie im Grunde mit so sympathischen Menschen arbeiten darf, alle freundlich zu ihr sind und sie einen Chef hat, der auch ihr gelegentlich Nettigkeiten zukommen lässt.

Das bringt das Fass zum überlaufen
Eines Tages platzt ihr der Kragen. Die Assistenz muss diverse Papiere kopieren und sieht zufällig, wie einer ihrer Kollegen gerade mit einem Kopiervorgang fertig geworden ist und das letzte Blatt verbraucht hat. Als dieser sich – wie immer – vom Kopierer entfernt ohne neues Papier einzulegen, fängt sie ihn ab und schreit ihn an. Jetzt muss sie – wie immer – erst einmal für Papiernachschub sorgen. Das war in diesem Moment einfach zu viel ...

Die Assistenz ist genervt: Alle denken, sie kümmert sich schon darum. Und bestimmt ist es ihre Aufgabe. Nein, es ist nicht ihre Aufgabe! Sie hat es jahrelang stillschweigend und lächelnd gemacht, wie so vieles. Dieses Mal bricht alles, wirklich alles aus ihr heraus, was sich mittlerweile angestaut hat. Und das ist nicht wenig. Jetzt wundern sich alle über ihren heftigen »Ausbruch«, denn es war doch nur das Kopierpapier. Ihre Worte waren teilweise sehr verletzend und so unverständlich komplex, dass der Teamleiter sie umgehend zu sich bat, um der Situation auf die Spur zu kommen, bevor »noch mehr« passierte.

Jahrelang erduldet
Was war passiert? Bildlich gesehen hat die Assistentin über Jahre hinweg den sprichwörtlichen Teppich angehoben und jede Kleinigkeit, die sie gestört hat, darunter gekehrt. Irgendwann ist dieser Haufen im wahrsten Sinne des Wortes so groß geworden, dass sie darüber gestolpert und gefallen ist. Das, was hier passiert ist, kommt sehr oft in den unterschiedlichsten Bereichen und Konstellationen vor. Man mag nicht so häufig benennen, was nicht gefällt. Warum auch immer. Man möchte nicht kleinlich wirken oder der ständig unzufriedene Kollege sein. Das ist nachvollziehbar. Allerdings ist es doch auch widersprüchlich, wenn man von dem eigenen Harmoniebedürfnis spricht und es im Grunde genommen um die Harmonie für andere geht.

Harmonie ist keine einseitige Sache
Die Frage ist: Kann ich viele Dinge »gerade sein lassen« und bin daraufhin in einem harmonischen Gefühl? Oder habe ich keine Idee, meine Bedürfnisse so zu äußern, dass sie angemessen erscheinen? Meines Erachtens wird das Harmoniebedürfnis erst dann erfüllt, wenn die Bedarfe aller beteiligten Personen berücksichtigt werden. Nicht nur dann, wenn eine Person beim Kehren den Teppich anhebt ...

Bedürfnisse kommunizieren lernen
In der Folge wurde die Assistenz unterstützt und geschult, sodass sie tatsächlich entspannt und klar im Umgang und in der Kommunikation sein konnte. Sie lernte, auch ihre Bedürfnisse mitzuteilen. Weiterhin wurde ihr »Ausbruch« zum Anlass genommen, um im Team das Thema Konflikte anzusprechen, bestehende Konflikte zu klären und präventive Maßnahmen zu entwickeln.

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