Arbeiten von überall oder fester Präsenzarbeitsplatz?
Vor zwei Jahren wurden alle zwangsweise ins Homeoffice geschickt. Für viele war es das erste Mal – sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte mussten sich darin üben. Es galt die Umstellung im häuslichen Umfeld zu meistern und damit klarzukommen, dass anstatt der Kollegin jetzt der Sohn ins Zimmer kam. Sofern es überhaupt einen extra Büroraum gab und nicht der Küchentisch herhalten musste. Auch in Sachen Hardware gab es noch einiges aufzuholen. Viele Mitarbeitenden waren mit ihren privaten Laptops und Smartphones im Auftrag der Firma unterwegs. Nachweislich wurde trotz aller Stolpersteine produktiv gearbeitet – und kaum hatte man sich zuhause perfekt eingerichtet und alles organisiert, hieß es auch schon wieder zurück ins Büro, damit die Führungskraft wieder alle im Blick hat. Kein Wunder, dass das teilweise auf Unverständnis trifft und Konfliktpotenzial birgt.
Wer so weitermacht, muss sich nicht wundern …
Viele Mitarbeitende sind zurecht stolz darauf, was sie in der Homeoffice-Zeit geleistet haben. Durch den Wegfall vom Arbeitsweg legten viele sogar einiges an Überstunden drauf und glänzten mit erfolgreichen Projekten, guter Arbeit und exzellenten Ergebnissen. Und dann habe ich erlebt, dass Vorgesetzte mit einem „Ach, Sie haben ja tatsächlich im Homeoffice gearbeitet“ darauf reagieren. An dieser Stelle braucht es keine weiteren Worte. Auch gesehen und erlebt ist, dass während des Lockdowns und der Homeofficezeit eben doch einige abgetaucht sind und kaum erreichbar waren. Doch sollen diese wenigen Ausnahmen jetzt der Grund sein, alle wieder zurückzuholen? Weitere Argumente für eine komplette oder teilweise Anwesenheitspflicht ist der Publikumsverkehr. „Was sollen denn die Kunden und Kundinnen denken, wenn das halbe Büro leer ist?!“ Aber mal ganz ehrlich – wie war es denn innerhalb der letzten zwei Jahre? Dort lief doch auch alles online. In der Regel haben die Kund:innen einen festen Ansprechpartner, der vor Ort ist und was im Rest der Büros los ist, interessiert nun wirklich nur am Rande. Ein „die Hälfte ist im Homeoffice“ führt wahrscheinlich zu einem Nicken und nicht zu Empörung. Wenn alle da sind, könnte sogar eher bei Kund:innen die Frage aufkommen, ob die Mitarbeitenden denn auch im Homeoffice arbeiten könnten – rein interessehalber versteht sich.
Am Ende füllen wir noch etwas mehr Benzin in den Konflikttank mit dem allseits beliebten Vergleichen. „Wenn ich Nils erlaube, sich von Gomera einzuloggen, dann haben wir direkt schlechte Stimmung, denn Holger muss wegen der Kinder zuhause bleiben. Ich würde ja gerne so etwas erlauben, aber ihr seht selbst …“ Bitte lassen wir nicht außer Acht, dass die meisten Menschen sich ihrer Situation sehr wohl bewusst sind. Ein Mitarbeitender, der in der Produktion an der Maschine steht, wird auch nicht auf seinen Chef zugehen und sagen, er fände es unfair, dass die im Büro von zuhause arbeiten dürften und er an der Maschine stehen muss. Sie sehen schon, Vergleiche sind teilweise sehr leicht zu entkräften. Und warum sollte Nils in seinen Möglichkeiten eingeschränkt werden, nur weil Holger Kinder hat? Klingt ungerecht, oder? Meine Erfahrung sagt an vielen Stellen: Das Neue Normal ist ein alter Hut. Das Zutrauen in die eigene Mannschaft ist an vielen Stellen so schmal, dass selbst Zahlen, Daten, Fakten keine Chance haben. Wer weiter so agiert, muss sich nicht wundern, dass kluge und kreative Köpfe gehen!
Alle über einen Kamm scheren, sorgt nur für Haarausfall
Es gibt mittlerweile zahlreiche Untersuchungen und Studien, die belegen, dass die meisten Mitarbeitenden im Homeoffice gute und tendenziell sogar mehr Leistung erbracht haben als weniger. Natürlich gibt es auch Menschen, die abgetaucht sind und sich in ihrer Performance verschlechtert haben. Vielleicht gab es dafür persönliche Gründe, vielleicht waren sie schon zuvor Low Performer oder es sind einfach Menschen, denen das soziale Umfeld im Büro fehlte. Und diese dürfen und sollen selbstverständlich die Möglichkeit haben, wieder im Office zu arbeiten. Doch ist es wirklich nötig, dafür alle anderen ebenfalls in Sippenhaft, sorry, in Teamhaft zu nehmen?! Was löst das im Team aus, wie wird dann mit den „Sündenbock-Mitarbeitenden“ umgegangen? Und wie reagieren die High Performer? Alle über einen Kamm zu scheren, sorgt nur für Haarausfall und selten gute Ergebnisse. Hier jeden und jede für etwas büßen zu lassen, was Einzelne verbockt haben, trägt nicht gerade zur Mitarbeiterbindung bei. Und ja, es gibt die fabelhaften Beispiele, die schnell den Neid anderer befördern, wenn beim Online-Meeting im Bild der Strand im Hintergrund zu sehen ist oder das Meeresrauschen zu hören. Doch das sind alles Situationen, die sich klären und händeln lassen. Schließlich waren anfangs auch Schlafzimmerfronten, Kinder, Tiere und teilweise fehlende Hosen zu sehen – und wir sind gut damit umgegangen. Nicht zu vergessen sind auch die Menschen, die nach wie vor die Kinder später zur Kita bringen und die Mittagspause verlängern, weil sie frisch kochen. Doch machen sie wirklich deshalb ihren Job nicht?
Also, worum geht es wirklich?
Alle möchten einen guten Job machen – Führungskräfte wie Mitarbeitende. Doch was hat der Arbeitsort damit zu tun? Ist es nicht eher so, dass die Motivation steigt, wenn ich mich in meinem Umfeld wohlfühle? Nach den vergangenen zwei Jahren haben alle die Möglichkeit diverser Perspektivwechsel im Job in Bezug auf Führung, Team, Arbeitsplatz/-ort etc. bekommen. Sie wissen, was geht und was nicht. Warum soll jemand in einem Unternehmen bleiben, dass nicht das bietet, was man sich wünscht? Ist es nicht inzwischen so, dass sich die Unternehmen bewerben statt der Arbeitskräfte? Ist es nicht so, dass kluge Köpfe schnell wieder gehen, wenn die Bewerbungsversprechen nicht eingehalten werden? Damit alle einen guten Job machen können, gilt es, den Mensch in den Fokus zu rücken. Wenn dieser im Büro arbeiten möchte, dann soll er bitte genau das dürfen. Wenn er im Homeoffice am glücklichsten ist und volle Leistung abrufen kann, ja warum soll er dann nicht genau dort arbeiten. Und wenn er am liebsten von einer Mittelmeerinsel aus agiert, wünschen Sie ihm einen guten Flug.
Ich persönlich gehöre zu denen, die nicht auf einer Insel arbeiten, weil mein Umfeld es nur sehr schwer zulassen würde. Trotzdem freue ich mich für Menschen, die happy am Bildschirm auftauchen, obwohl sie bei Sonnenschein im mobilen Office sitzen. Mit diesen Leuten kann ich viel bewegen. Und Sie?
Welche Erfahrungen haben Sie im Homeoffice gemacht? Wie geht es Ihren Mitarbeitenden mit diesem Thema? Ich freue mich auf einen Austausch mit Ihnen: melden Sie sich gerne hier oder via LinkedIn.